2016 ︎ Zurück in Wien –Körperadaptierungen
︎ Serie von 9 C-Prints auf Fine Art Baryta︎ 60 cm x 40 cm





Zurück in Wien – Körperadaptierungen


Serie von 9 C-Prints auf Fine Art Baryta, 2016
60 cm x 40 cm


Eine Fotoserie bestehend aus neun Bildern: Aufnahmen, die entstanden sind an neun verschiedenen Orten in Wien, wie die Adressen in den Bilduntertiteln zeigen. Doch nicht diese Orte stehen im Vordergrund, sondern das Porträt einer Frau, bzw. ihre Geschichte des Ankommens in Wien. Ihre Geschichte der Rückkehr, müsste es korrekterweise heißen. Doch die Rückkehr dieser Frau, und der damit verbundene Wunsch nach einem Ankommen war ein längerer Prozess, der sich über mehrere Jahre gezogen hat – deswegen: eine Geschichte des Ankommens.

»Zwei Jahre lang, zweimal die Woche: Warten.« Der Titel des ersten Bildes deutet die Langwierigkeit dieses Prozesses an. Der Titel des letzten Bildes lässt erkennen, dass es eine schwierige, vielleicht sogar existenzielle Zeit gewesen sein muss: »Ich habe heute keine Angst mehr.«

Helga Pollak-Kinsky heißt die Frau in den Bildern, mit der die Künstlerin Johanna Tinzl für die Arbeit »Zurück in Wien – Körperadaptierungen« kollaboriert hat. In Anlehnung an VALIE EXPORTS Serie »Körperkonfigurationen«, entstanden in den frühen 1970er bis zu den frühen 1980er Jahren, wählte Johanna Tinzl zusammen mit Helga Pollak-Kinsky Orte aus, die für das Ankommen in Wien bedeutend waren, und mit bestimmten Emotionen oder Erinnerungen verbunden sind. Orte sind Speicher von Erinnerung.

Kulturelle Gedächtnisorte, also Orte an denen sich Geschichte eingeschrieben hat, sind meist Teil des kollektiven Gedächtnisses. Aber ebenso sind Orte auch Speicher individueller Erinnerungen, welche durch den Besuch dieser Orte geweckt werden können. Helga Pollak-Kinsky hat versucht an den für sie bedeutenden Orten je spezifische Körperhaltungen als Ausdruck für die Erinnerungen, für die damaligen inneren Zustände, zu finden. In der Kombination aus Körperhaltungen und der Auswahl der Orte, kann dies mit VALIE EXPORT gelesen werden: »Die Landschaft stellt eine Stimmung dar, wie die Körperhaltung eine Stimmung ausdrückt. Der Ausdruck von Emotionen geschieht nicht nur facial. Ein Geisteszustand kann also erstens durch die Konfiguration von landschaftlichen Teilen, zweitens durch die Konfiguration von Körperteilen – und drittens (...) von Körperteilen in der Landschaft ausgedrückt werden.«1
So zeigt Johanna Tinzls Serie einen Rückblick auf den Prozess des Ankommens von Helga Pollak-Kinsky in Wien, der von Resignation und Verzweiflung, von Anpassung und Verschleierung bis hin zur Entstehung von Selbstbewusstsein und Geborgenheit reicht. Diese Entwicklung könnte als weibliche Emanzipation gelesen werden, wie dies auch das Thema bei den »Körperkonfigurationen« war – allerdings muss sie in diesem Fall als ein Umgang-Finden mit der eigenen Geschichte, bzw. mit der österreichisch-deutschen Geschichte gesehen werden. Emanzipation scheint nicht der richtige Begriff, von der Geschichte kann man sich nicht emanzipieren. Helga Pollak-Kinsky kam 1957 mit ihrem Mann und zwei Kindern nach Wien zurück, das sie 1938 verlassen hatte müssen. 1930 als Kind jüdischer Eltern in Wien geboren, hat Helga Pollak-Kinsky den Nationalsozialismus trotz Theresienstadt, Auschwitz und Arbeitslager – durch Glück, wie sie sagt – überlebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie erst in London, dann mit ihrem deutsch-jüdischen Mann in Bangkok und Addis Abeba, um 1957 schließlich nach Wien in ihr Geburtshaus, in dem ihr Vater wohnte, zurückzukehren.

Die neun Bilder umreißen den Zeitraum des Ankommens in Wien von 1957 bis heute. Die Zeit davor schwingt als indirekte Ebene der Erzählung mit, so wie das Erleben und Überleben des Holocaust im Leben von Helga Pollak-Kinsky (und den anderen Überlebenden) immer irgendwie präsent geblieben ist. Und deswegen auch uns, alle, dazu verpflichtet, nicht zu vergessen – denn, auch mit dem Ende eines Krieges oder von Verfolgung ist nichts vorbei. Dies ist ein Aspekt von »Zurück in Wien«, der die individuellen Erfahrungen Helga Pollak-Kinskys übertragbar macht auf aktuelle Situationen. Johanna Tinzls Kamera wahrt Distanz, und ist doch so nah, dass die Vertrautheit zwischen beiden Seiten sichtbar wird. Sie gibt Helga Pollak-Kinsky den notwendigen Raum um deren Körper sprechen zu lassen. Die Orte bleiben im Hintergrund, sie fungieren als Display der Erinnerung und werden durch die Arbeit doch auch zu Gedächtnisorten.

Text: Christina Nägele


1 VALIE EXPORT, in Sabine Breitwieser (Hg.), Occupying Space. Sammlung Generali Foundation, für die Generali Foundation, Wien 2003.



Siehe Zurück in Wien - Körperadaptierungen in öffentlichen Räumen︎︎︎